Schreibimpulse

Schreibimpulse zu Reisezeit

Journal und Stift am See, bereit zum Schreiben
Wann immer wir auf Reisen sind, begegnen wir täglich neuen Eindrücken, ungewohnten Landschaften, fremden Kulturen und Menschen. Da ist es hilfreich, wenn wir einen Weg finden, diesen Eindrücken einen Ausdruck zu verleihen.

Listen und Momentaufnahmen (im Reisetagebuch)

In einem (Reise)tagebuch können wir alles notieren, was uns auffällt: schnell mal zwischendurch oder gesammelt abends vor dem Schlafengehen. Dafür eignen sich zuerst einmal alle Arten von Listen:

  • Orte, die ich heute besucht habe
  • Menschen, die ich kennengelernt habe
  • Ungewöhnliche Ereignisse
  • Beeindruckende Gebäude/Landschaften/Dinge
  • Situationen, die mich berührt haben
  • Was ich heute Neues gelernt habe
  • 5 Dinge, an die ich mich später unbedingt noch erinnern möchte
  • 10 Erlebnisse, für die ich besonders dankbar bin
  • und und und

Die etwas ausführlichere Variante: Miniaturen und Momentaufnahmen.

Dazu „literarisieren“ Sie Ihre Einträge aus den Listen, machen kleine Momentaufnahmen und Textminiaturen daraus, indem Sie eine Situation/ ein Erlebnis in einen Drei- oder Vierzeiler packen, am besten in der Gegenwartsform. Hier ein paar Beispiele:

Frühmorgens,
wenn der Nebel geheimnisvoll gen Himmel dampft,
gehört der See nur mir allein.
Die Enten begleiten mich beim Schwimmen.

~~~~~~~~~~~~~~~~~

Der alte Mann im Café
sitzt gebeugt über einer Tasse Kaffee,
seine Haut erinnert mich an Faltkunst aus Papier.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Das Meer braust und tobt,
die Gischt spritzt bis weit über den Platz.
Eine Gruppe Touristen
bringt sich kreischend in Sicherheit.

Natürlich können Sie Ihre Beobachtungen auch in bekannte Gedichtformen gießen, z.B. als Haiku oder Elfchen formulieren.

Die Ode

Wenn Ihnen ein Ort oder eine Stadt besonders gut gefällt, bietet sich das Schreiben einer Ode an. Zum Beispiel eine Ode an…

  • …den Holzöstersee
  • …das beste Eis Italiens
  • …die Hügel von Schottland

Wie Sie eine Ode schreiben?
Ganz einfach: Sie schwärmen in höchsten Tönen, preisen die Vorzüge des zu lobenden Objekts, schwelgen und übertreiben dabei nach Lust und Laune.

Etwas fachlicher ausgedrückt: Die Ode (griechisch für Gesang, Lied) ist ein Lobgesang, ein feierliches lyrisches Gedicht. In der Antike war der Begriff eine Sammelbezeichnung für alle sangbaren strophischen Dichtungen. Eine Ode ist immer an jemanden oder etwas gerichtet (früher oft Götter, heute eher Menschen, Pflanzen, Orte usw.). Sie zeichnet sich vor allem durch einen feierlichen, erhabenen Stil aus und kann, muss aber nicht gereimt sein. Die Ode verwendet eine pathetische Sprache, um der Größe des behandelten Themas/ Menschen gerecht zu werden. Sie darf also ruhig überschwänglich, ja fast ein bisschen kitschig sein, das ist quasi das Markenzeichen einer Ode.

Zum Beispiel:
Oh Schottland, du einzigartiges, großartiges, unvergessliches Land.
Ich verneige mich vor deiner Schönheit.
Vor deinen sattgrünen Hügeln.
Vor deiner Rauheit und deiner Weite… (usw.)

(Exkurs: Eine Ode kann auch ganz unspektakulär daherkommen. Ohne Übertreibung, ohne Kitsch. Einfach ein überzeugtes Befürworten einer Sache, wie z.B. diese Ode an das Unperfekte zeigt, die ich vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Yoga geschrieben habe. Und was ich hier über Yoga schreibe, gilt auch fürs Schreiben. Auch hier muss nichts perfekt sein. Was zählt, ist einzig und allein die Freude am Tun, die spielerische Auseinandersetzung mit Sprache und dem ganz persönlichen Ausdruck.

Fotografieren mit Worten

Das Fotografieren mit Worten* geht zurück auf den Schweizer Peter Wehrli (Journalist, Germanist und Kunstgeschichtler), der am Beginn einer langen Zugfahrt bemerkte, dass er seinen Fotoapparat vergessen hatte. So versuchte er, Bilder und Szenen stattdessen mithilfe der Sprache einzufangen. Um eine Ähnlichkeit zum Fotografieren herzustellen, bedient er sich einer bestimmten Form für seine Aufzeichnungen:

Es werden nicht beliebige Bilder gesammelt, sondern nur Szenen/Dinge/Menschen, die den Betrachter/die Betrachterin anspringen und einen (starken) Eindruck hinterlassen.
Nachdem die Kamera nur einzelne Augenblicke festhalten kann, sollten auch die sprachlichen Schnappschüsse nur jeweils einen einzigen Satz umfassen. Damit wird u.a. Schnelligkeit und Punktualität erzeugt.
Die chronologische Reihung von mehreren Aufnahmen ergibt einen Katalog. Da in Katalogen die Sätze kein Prädikat haben, fehlen diese auch hier. Wehrli hat seine Sätze sogar wie in Katalogen üblich nummeriert.**

Wehrli stellt etwas, das ihm ins Auge springt (Gegenstand, Person…) an den Anfang seines Satzes und konstruiert dann einen Relativsatz dazu, der diesen Gegenstand/die Person/das Detail näher beschreibt. Einige Beispiele aus dem „Katalog für alles“:

15. das Blättern
das suchend unsichere Blättern des Schalterbeamten im Bahnhof Zürich in Preislisten und Streckenverzeichnissen, weil er nur selten eine solche Fahrkarte ausstellen muß.

23. das Mädchen
das verstörte Mädchen, das sich im Bahnhof Triest über Berge eigenen Gepäcks in den Korridor des Wagens kämpft und Mitreisende fragt: „Mosca? Moscou? Moskau? Moskwa?“

88. die Staubwolke
die Staubwolke über der Straße und den Dächern im Dorf Basköy, die mir verrät, daß da vor einiger Zeit ein Auto vorbeigefahren sein muß.

(Wehrli 1999, Seite 13, 14 + 30)

Der Fokus fällt also jeweils auf ein wichtiges Detail (Schalterbeamter, Mädchen, Staubwolke,…), das mit einem Ort in Verbindung gebracht wird und im Anschluss näher ausgeführt wird. Es handelt sich um eine Momentaufnahme, die durch die jeweilige Darstellung nähere Umstände preisgibt, das Bild in seiner Umgebung quasi einfriert. So entsteht ein Bildausschnitt vor dem Auge des Lesers/der Leserin, bei dem auch deutlich wird, warum den Autor dieses Bild beschäftigt bzw. angesprochen hat.

Den „Bauplan“ für das Fotografieren mit Worten könnte man folgendermaßen skizzieren:

  • Gegenstand, Person, Detail
  • Ergänzende Eigenschaft, Orts- oder Zeitangabe (manchmal schon als Einschub in 1.)
  • nähere Beschreibung, die das Detail/den Gegenstand/die Person in Szene setzt

Versuchen Sie es einfach – es geht ganz leicht und macht Spaß!

Geschichten schreiben aus der Sicht von…

Nehmen Sie eine Person, die Sie vielleicht zuvor gerade „fotografiert“ haben und schreiben Sie eine Geschichte aus deren Sicht, z.B.:

Was erlebt die Eisverkäuferin, die Sie gerade beobachtet haben?
Was denkt und fühlt der Touristenführer, der seine Gruppe mehrmals vor der Gischt gewarnt hat, die jetzt dennoch großteils „begossen“ dasteht? Wie erzählt er diesen Moment abends seiner Freundin?

eisverkäuferin vor ihrem wagen

Zevennar

Ein Zevennar ist eine Gedichtform aus Holland, die uns eine siebenzeilige Struktur vorgibt und mit einem Ort beginnt – also ideal für Reisebeschreibungen, oder?

1. Zeile: ein Ort;
2. Zeile: die Tätigkeit des „literarischen Ichs“;
3. Zeile: eine Frage zum Bisherigen oder ein Vergleich dazu;
4. Zeile: ein Detail wird ausgewählt;
5. Zeile: dieses Detail wird herangezoomt;
5. Zeile: wiederholt Zeile 1;
6. Zeile: wiederholt Zeile 2

Beispiel:
Im Schreibraum
sitze ich und dichte.
Wie die Poetin in ihrem Turm.
Gedichte bringen die Dinge auf den Punkt,
am liebsten mag ich das Haiku.
Im Schreibraum
sitze ich und dichte.

schreibende frau auf einer bank am see

Noch ein Beispiel, diesmal von Renate Haußmann (in Rechenberger-Winter/Haußmann 2015, S. 109)***

Im Hotel
Ich lese die Zeitung vom Morgen
Habe ich etwas verpasst
Schweinsteiger ist verletzt
Er fasst sich ans Knie und leidet
Im Hotel
Ich lese die Zeitung vom Morgen

Probieren Sie doch in Ihrem Urlaubsort einmal aus, was sich da zeigen will. Vielleicht in der Bibliothek, im Café, am Berg…

Was immer Sie auf Reisen (und im Alltag) erleben, ich wünsche Ihnen, dass Sie die geeignete Ausdrucksform dafür finden. Denn eines ist sicher:

„Das Schreiben intensiviert das Leben,
das Leben bereichert das Schreiben.“

(Sylvia Plath)

Einen schönen Sommer, bereichernde Reise- und Schreiberfahrungen
wünscht Ihnen von Herzen
Ihre
Alexandra Peischer

Quellenangaben

* Die Methode wird unter dem Titel „Notieren als Fotografieren“ vorgestellt im Buch „Schreiben dicht am Leben. Notieren und Skizzieren“ von Hanns-Josef Ortheil (DUDEN, Reihe Kreatives Schreiben, Mannheim/Zürich 2012)

** Peter K. Wehrli: „Katalog von Allem, 1111 Nummern aus 31 Jahren“ (Knaus Verlag, München 1999) und
Peter K. Wehrli: „Katalog von allem: Vom Anfang bis zum Neubeginn. 1697 Nummern aus 40 Jahren“ (Ammann Verlag, Zürich 2008)

***Rechenberger-Winter, Petra/ Haußmann, Renate: Arbeitsbuch Kreatives und biografisches Schreiben. Göttingen (V&R) 2015

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