Ich bekenne es gern: ich bin eine fanatische Frühlings-Anhängerin. Wenn es an allen Ecken blüht und duftet,
wenn die Bäume austreiben und frisches Grün die Welt erobert, wenn Narzissen und Tulpen auf den Verkehrsinseln der Stadt ihre kräftigen Farben ins Grau des Asphalts mischen – dann bin ich richtig glücklich, dann schwebe ich auf Wolke sieben durch die Tage. Diese prachtvolle Zeit verdient es wohl, gelobt, gepriesen und verherrlicht zu werden! Und was eignet sich dazu besser als eine Ode?
Was ist eine Ode?
Die berühmteste aller Oden – die „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller – ist ja vor allem durch ihre Vertonung in Beethovens 9. Symphonie bekannt geworden. Weniger bekannt sind unzählige andere Oden deutsch- und anderssprachiger Dichter. Pablo Neruda z.B. hat eine wunderschöne „Ode an die Zwiebel“* geschrieben, die ich immer wieder gerne als Beispiel verwende, dass auch scheinbar einfache, unbedeutende Dinge gepriesen werden können.
Die Ode (griech. = Gesang, Lied) ist ein Lobgesang, ein feierliches lyrisches Gedicht. In der Antike war der Begriff eine Sammelbezeichnung für alle sangbaren strophischen Dichtungen.
Für das Versmaß kannte man verschiedene Variationen (alkäische, sapphische, asklepiadeische, archilochische Odenstrophen) . Die pindarische Ode hingegen ist nur bedingt strophisch gegliedert und hat kein festes Versmaß, sie arbeitet mit freien Rhythmen (ähnlich dem „Hymnus“). Deutsche Oden waren meist nicht zum Singen gedacht und verwenden auch selten die antiken Versmaße, sondern eher deutsche Metren (Trochäus, Jambus, etc.).
Eine Ode hat immer einen Adressaten (früher oft Götter, heute eher Menschen, Pflanzen usw.), ist also an jemanden oder etwas gerichtet. Sie zeichnet sich vor allem durch einen feierlichen, erhabenen Stil aus. Die Ode verwendet eine pathetische Sprache, um der Größe des behandelten Themas bzw. Menschen gerecht zu werden. Sie darf also ruhig überschwänglich, ja fast ein bisschen kitschig sein.
Ode an den Frühling
Der Frühling ist ein perfekter Adressat für eine Ode, finden Sie nicht? Sie können darin ungehemmt all die Vorzüge und Prachtseiten des Frühlings schildern, die Natur nach Herzenslust preisen und sich selbst im Schreiben damit glücklich machen. Denn diese Nebenerscheinung wird Ihnen schnell auffallen: Indem Sie über die schönen Seiten des Lebens schreiben, erleben und empfinden Sie diese noch einmal neu. Zufriedenheit und Glücksgefühle werden zwangsläufig eintreten, während sie schreiben.
Ich habe schon einige Oden in meinem Leben geschrieben – der Frühling ist nur ein Thema von vielen. In meinen Notizbüchern gibt es auch Oden an Länder, Seen, Städte, aber auch an Charaktereigenschaften oder eigene innere Anteile, wie z.B. an die Leichtigkeit, die Ehrlichkeit, das Selbstvertrauen oder an meine innere Schreiberin. Eine Ode an eine zu entwickelnde Fähigkeit oder an eine gewünschte Eigenschaft kann außerdem helfen, diese als positives Wunschbild vorwegzunehmen und sie als Ziel damit besser zu verinnerlichen.
Probieren Sie es doch aus!
Am besten beginnen Sie mit einer Ode an den Frühling, für dessen offensichtliche Schönheit Ihnen der Lobgesang garantiert leicht von der Hand gehen wird. In dieser Ode dürfen übrigens auch Kleinigkeiten und Unscheinbares Platz finden: die herabfallenden, im Winde tanzenden Blütenblätter zum Beispiel oder das Kleinkind, das am Straßenrand ehrfürchtig vor einem Löwenzahn kniet.
Wenn diese Ode gut gelingt, können Sie sich im nächsten Schritt dann eine schwierigere Aufgabe vornehmen. Eine Ode an die Freundschaft, die Toleranz oder die Meinungsfreiheit vielleicht?
Viel Spaß beim Oden-Schreiben
und eine frühlingshaft-beglückende Osterzeit wünscht Ihnen
Alexandra Peischer / schreib.raum
*Pablo Neruda: „Ode an die Zwiebel“
Zwiebel,
leuchtende Phiole,
Blütenblatt um Blütenblatt
formte deine Schönheit sich,
kristallene Schuppen
ließen dich schwellen,
und im Verborgenen der dunklen Erde
füllte dein Leib sich an mit Tau.
Unter dieser Erde
ward dieses Wunderwerk,
und als dein unbeholfener
grüner Trieb erschien
und deine Blätter degengleich
sprossen im Garten,
drängte die Erd
ihren Reichtum zusammen
und wies deine durchscheinende Nacktheit,
und wie in Aphrodite das ferne Meer
die Magnolie nachschuf,
da es ihre Brüste formte,
also bildete
die Erde dich,
Zwiebel,
hell wie ein Planet
und zu leuchten bestimmt,
unvergängliches Himmelszeichen, rundliche
Rose von Wasser
auf dem Tisch der armen Leute.
Verschwenderisch
läßt du
deinen Globus der Frische zergehn
im verzehrenden Sud
des Topfes,
und der kristallene Saum
und des Öls entfachter Hitze
verwandelt sich in eine gekräuselte Feder von Gold.
Auch gedenke ich, wie dein Zutun
die Freundschaft des Salates fruchtbar macht,
und es will scheinen, der Himmel hilft mit,
da er dir des Hagelkorns zierliche Gestalt
verlieh,
deine feingehackte Helle zu rühmen
auf den Hemisphären einer Tomate.
Aber erreichbar den Händen des Volkes
und beträufelt mit Öl,
bestreut mit ein wenig Salz
tötest du den Hunger
des Tagelöhners auf mühsamem Wege.
Stern der Armen,
gütige Fee,
eingehüllt
in zartes Papier
kommst du aus dem Boden der Erde,
ewig, vollkommen und rein
wie Samenkorn der Gestirne,
und wenn in der Küche
das Messer dich zerschneidet,
quillt die einzige
leidlose Träne.
Du machst uns weinen, ohne uns zu betrüben.
Solange ich lebe,
will ich lobsingen,
Zwiebel,
für mich aber bist du schöner
als mit blendenden Schwingen
ein Vogel,
für meine Augen bist du
Himmelskugel, Platinkelch,
beschneiter Anemone
unbeweglicher Tanz,
und der Erde ganzer Duft, er lebt
in deiner kristallinischen Natur.
Quellen:
- http://www.literaturwelt.com/spezial/ode.html [Stand 10.4.14]. Dort finden sich auch zahlreiche Beispiele und weiterführende Literatur zur Odendichtung.
- Pablo Neruda: Gedichte. 1923 – 1973. Aus dem Spanischen von Erich Arendt, herausgegeben von Carlos Rincón. Reclam Verlag, Leipzig 1979