Der Raum dazwischen
Stellen Sie sich vor, Sie stehen im „Dazwischen“. Vielleicht ist es ein Land, vielleicht eine undefinierbare Qualität, vielleicht ein konkreter Raum. Ein Zwischen-Raum. Zwischen zwei Ländern. Oder zwischen den Stühlen. Zwischen zwei Lebensabschnitten. Zwischen alt und neu. Vielleicht auch zwischen den Zeiten…
Schließen Sie gerne dazu die Augen und lassen Sie Bilder vor Ihrem inneren Auge aufsteigen. Alle Assoziationen sind willkommen – ohne Wertung.
- Wie fühlt es sich dort an?
- Was sind die herausragendsten Qualitäten im Zwischen-Raum?
- Ist es warm oder eher kalt?
- Welche Farben herrschen vor, welche Gerüche?
- Was nehmen Sie sonst noch wahr?
- Sind Sie alleine dort oder mit anderen Menschen/Wesen?
- Was liegt hinter Ihnen, was noch vor Ihnen?
- Wo zieht es Sie hin?
Nach einer gewissen Zeit öffnen Sie Ihre Augen wieder, nehmen Stift und Papier und schreiben alles auf, was Sie gesehen haben, flüssig in einem Schwung.
Anschließend – eventuell nach einer kurzen Pause – verdichten Sie Ihre Eindrücke in einem „positiven Vierzeiler“*, bei dem die 1. und die 4. Zeile vorgegeben ist:
Ich stehe dazwischen und sehe
…
…
Ich stehe dazwischen und sehe
Ein (eigenes) Beispiel:
Ich stehe dazwischen und sehe
all die Möglichkeiten und Chancen,
eine Frau, die vor Freude strahlt.
Ich stehe dazwischen und sehe.
*Danke an Kirsten Alers für diese Anregung (angelehnt an ein Gedicht von Angela Thamm).
Den Übergang (und das Neue) gestalten
Nehmen Sie ein großes Blatt Papier (am besten A3) und zeichnen/malen Sie, was Sie soeben erfahren und niedergeschrieben haben. Oder – wenn Sie nicht zeichnen mögen – schneiden Sie passende Bilder aus Zeitschriften oder alten Kalendern aus, suchen Sie Fotos, kleben Sie, kritzeln Sie – was immer Ihrer Gestaltungsfreude dient.
Sie können ganz intuitiv arbeiten und zuerst „das Alte“ gestalten, dann „das Neue“ oder auch umgekehrt. Zum Beispiel könnte das Alte auf die linke Seite kommen, das Neue auf die rechte, dazwischen der Übergang. Oder Sie arbeiten sich von unten nach oben oder von oben nach unten. Folgen Sie Ihrer Eingebung, Ihre Intuition wird Sie leiten.
Sobald Sie zufrieden sind mit Ihrem Werk, lassen Sie es in Ruhe auf sich wirken und schreiben dann nochmals in einem kurzen Freewriting Ihre Assoziationen dazu nieder.
Wie empfinden Sie die einzelnen Abschnitte? Wo fühlen Sie sich am wohlsten? Wo spüren Sie die meiste Energie?
Dann konzentrieren Sie sich bewusst auf den Übergang: Was hilft Ihnen, diese oft schwierige Zeit des Übergangs gut zu bewältigen? Wer oder was schenkt Ihnen Kraft und Vertrauen? Und welche Ressourcen können Sie nutzen, um einen Schritt in Richtung Ihrer Visionen, Ihrer Sehnsucht zu kommen?
Zum Abschluss verdichten Sie das Geschriebene in Form eines Elfchens oder Akrostichons zum Wort ÜBERGANG oder DAS NEUE.
Beobachtungen im Zwischen-Raum
Das Haiku als Momentaufnahme
Die Zeit des Übergangs, des Innehaltens und Wartens, eignet sich hervorragend, um zu beobachten und Stimmungen einzufangen, vor allem in der Natur. Und dazu wiederum eignet sich die traditionelle japanische Gedichtform des Haiku ganz wunderbar, denn dabei geht es genau um solche schlichten Momente, die in 17 „Moren“ (=japanische Lauteinheiten) festgehalten werden: 3 Zeilen zu 5 – 7 – 5 Lauteinheiten, im Deutschen hat man sich auf Silben geeinigt. Die moderne Haiku-Dichtung weicht hier ab und akzeptiert 10-14 Silben ebenfalls als Haiku, da Moren oft kürzer sind als Silben.
Ich habe schon öfter über das Haiku geschrieben, z.B. hier und hier. Heute noch ein zusätzlicher Aspekt: Im traditionellen Haiku soll sowohl das „Vergängliche“ vorkommen als auch das „Ewige, Bleibende“. Im klassischen Haiku geht es außerdem immer um Naturbeobachtungen und es gibt stets einen Bezug zur Jahreszeit. Eine tieferliegende Symbolik und Interpretationsspielraum für die Leser*innen spielen ebenso eine Rolle. Ein Haiku ist konkret und immer in der Gegenwart, wird also auch im Präsens geschrieben.
Sie müssen das natürlich nicht alles befolgen. Regeln dürfen auch gebrochen werden, es darf Spaß machen.;-)
Lassen Sie Ihre Beobachtungen spielerisch in einige wenige Worte fließen. Spielen Sie mit den Silben, dem Rhythmus, dem Klang des Gedichts.
Ein paar Beispiele von meinen eigenen Erkundungstouren:
Clematis-Büschel
hängen an Zaun, Busch und Baum.
Weiße Lockenpracht.
Feuchtes Laub zuhauf,
Bach plätschert fröhlich dahin.
Alles im Wandel.
Blüten im Winter.
Farbtupfer am kahlen Baum.
Leben geht weiter.
Viel Freude beim Innehalten, Beobachten und Schreiben,
Ihre
Alexandra Peischer